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  • Grabstein – 2

    18. Juli 2013

    At Least He Never Walked

    Das kann ich nicht von mir behaupten, wenn es sein muss, gehe ich auch ein Stück beim Marathon. Mein Stolz liegt anderswo. Aber nachdem ich erstmals bei einem Marathon verletzt ausgeschieden bin, der mein Qualifizierungslauf für Boston 2014 sein sollte, eigentlich eine reine Formsache, und mit dem Gedanken spiele, nie mehr einen Marathon zu laufen, da dachte ich an Haruki bei einem über dreistündigen Lauf am Samstagmorgen. Gegen Ende des Laufs,  der von den Redwoods in Muir Woods zum Cardiac auf dem Mount Tamalpais steil hochgeht, der brutalste Abschnitt des jährlichen Dipsea Rennens  von Mill Valley nach Stinson Beach, fiel mir Harukis Grabstein ein. Ich entschloss mich, ihm diesen härtesten Teil der Strecke zu widmen, ihm zu Ehren wollte ich nie auch nur einen Schritt gehen

    Die Strecke steigt wahnsinnig steil aufwärts, ein unebener Pfad, Steine und Wurzeln, manchmal muss man sich förmlich in den Berg krallen, es geht nur langsam vorwärts, aber immer joggend, nie im Schritt, wie schwer es mir auch gelegentlich fiel, die Muskeln brüllten und meine Lunge schrie, aber auch nicht einen Schritt habe ich beigegeben. Bei Bergläufen glaubt man  manchmal den Gipfel zu erahnen,  aber dann handelt es sich nur um eine Welle und dahinter steigt es weiter an, steiler als zuvor. Das gilt besonders für diese Strecke,  immer wieder die Täuschung und doch noch nicht am Ziel. Dreiunddreißig Minuten benötigte ich von Muir Woods  bis zum Gedenkbrunnen für Sam Hirabayaschi am Cardiac, dem Gipfel, von wo es gemütlich abwärts nach Stinson Beach geht.

    I never walked! Es war ein tolles Gefühl. Für Haruki. Er weiß offensichtlich, wovon er spricht.

  • Running and Racing

    01. August 2013

    Haruki Murakami hatte einen Marathon pro Jahr zum Ziel. Die Zeiten schienen dabei keine Rolle zu spielen, als ging es ihm allein um sich. Zeiten, der Vergleich, das hat mit andren zu tun. What I Talk About When I Talk About Running befasst sich mit der Vorbereitung auf den 2005 New York City Marathon und darum gewoben Philosophisches über die wechselseitige Beeinflussung von Laufen und Schreiben. Aber dann spielte in New York eben doch die Zeit eine Rolle. Als er erstmals die vier Stunden nicht knackte, stürzte  er emotional in ein Riesenloch. Das Laufen, der treue Freund und Vertraute, gab plötzlich nicht mehr her, worauf  er sich jahrelang hatte verlassen können. Ein Ausreißer, versuchte er sich zu beruhigen, aber sechs Monate später beim Boston Marathon dasselbe Ergebnis. Eine bittere innere Enttäuschung, etwas war geschehen, der Faden war gerissen. Und es ist schwer, aus diesem Tief wieder herauszufinden.

    Ich machte eine ähnliche Erfahrung beim 2012 California International Marathon in Sacramento, mein Qualifizierungslauf für Boston 2014. Das Trainingsprogramm, von meinem Langlauftrainer vorgegeben, sieht anders aus als das von Haruki. Qualität geht über Volumen, wichtig der Rhythmus zwischen Geschwindigkeitstraining im Stadium, von 10-15 Kilometer Läufen im Marathontempo oder schneller, und von 30km oder längeren Strecken am Wochenende. Dazwischen jeweils ein Tag mit leichtem Joggen, oder ein Ruhetag. Beim letzten Training im Stadium, acht mal 800 Meter, spürte ich plötzlich einen scharfen Sich im Oberschenkel. Ich wusste sofort, mit dem Marathon war es vorbei. Aber nach vier Monaten härtestem Training war ich nicht bereit, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Willenskraft über Körper, trotz Verletzung und gegen einen vom Pazifik in die Sierra Nevada peitschenden  monsunartigen Regensturm ging ich an den Start. Aber nach dreißig Kilometern gab ich enttäuscht auf,  ich hatte nie zu meinem normalen Laufstil gefunden, rannte total verzerrt und  auf den Zehenspitzen auftretend, um dem Schmerz im Schenkel abzufedern.

    Ich bin bei Marathons mehr als einmal gegen die Wand gerannt, aufgegeben habe ich jedoch nie. Aber es blieb mir keine Wahl. Und obwohl alles logisch erklärbar ist – Verletzung, ein verzogener Laufstil und ein verkrampfter Körper, ich hätte nie starten dürfen -, hat sich unvermittelt der Stellenwert der großen Straßen Marathons  verschoben. Boston 2014 hat seinen Reiz verloren

    Derselbe Einschnitt, den Haruki damals in New York auch gespürt hat. Natürlich bleibt es bei dem regelmäßig morgendlichen Lauf, aber meine Langlaufziele sind einsame drei- und vierstündige Wald- und Bergläufe und nicht mehr die Straßen Marathons.

    Vielleicht ändert sich das eines Tages wieder, aber so sieht es gegenwärtig aus. Haruki hat sich nach dem Wirklichkeitsschock von New York auf den Triathlon verlegt, wobei Laufen seine beste Disziplin ist. Aber es geht eben nicht mehr ums Laufen allein. Für mich steht ein 35 km Höhenlauf in der Sierra Nevada auf dem Programm, in dreitausend Meter Höhe,  drei bis vier Stunden allein in Wind und Sonne und hoffentlich wieder mit diesem herrlichen Hochgefühl der körperlichen Verausgabung.

    Running, not Racing. Mein innerer Langlauffrieden ist wiederhergestellt. Ich hoffe, Haruki kann das auch von sich sagen.

  • Ausdauer und Disziplin

    13. September 2013

    Darin findet Haruki Murakami die Parallele zwischen Langlauf und Schreiben. Ich sehe das ebenso, Ausdauer und Disziplin, und ihre positive gegenseitige Beeinflussung. Allerdings bin ich mir auch der negativen Seiten bewusst,  Frustration und Hilflosigkeit. Beim Schreiben die Agonie vor dem leeren Blatt, der Stelle im Manuskript, an der es plötzlich nicht weiter geht. Writer’s Block, der Tage und Wochen dauern kann.  Ein Überfall aus heiterem Himmel, gerade fließt noch alles, die Gedanken sind klar, die Worte und Sätze flüssig und plötzlich Blockade und Leere.

    So wie beim Laufen, der besttrainierte Läufer, der über seine Grenzen läuft und gegen die „Mauer“ knallt. Zwischen 35 und 40 km lauert sie beim Marathon. Ich habe den Crash an diesem Punkt mehr als einmal durchlebt. In seinem Buch erwähnt Haruki die Mauer nicht, vielleicht weil  er ihr nie begegnet ist, weil er seine Grenzen besser kennt als ich meine, und seine Kräfte von Anfang an entsprechend einteilt. Den   Writer’s Block scheint es bei ihm ebenfalls nicht zu geben, bei der Fülle seiner Produktion. Aber ich kenne sie beide zur Genüge, die positiven und  negativen Seiten von running und writing.

  • Verletzungen

    21. September 2013

    Verletzungen gehören untrennbar zum Langlauf. Allerdings schreibt Haruki nichts darüber. Ist  er die Ausnahme? Jeder geht Verletzungen unterschiedlich an, und natürlich kommt es auf die Schwere an. Das Problem ist, dass man als echter Läufer besessen ist und  die Verletzung nicht wahrhaben will, sich weiter quält, als sei nichts geschehen, nur um über Zeit alles noch zu verschlimmern. Irgendwann wird auch dem Besessensten klar, dass man aussetzen muss, ein paar Tage, Wochen, vielleicht sogar länger. Fast unzumutbar, nicht zu laufen, wenn man der Droge einmal verfallen ist. Die Vielzahl der Alternativaktivitäten, um fit zu bleiben, können den besessenen Läufer nicht befriedigen. Eben weil es eine Droge ist, die sich nach dem Entzug nicht einfach durch etwas anderes ersetzen lässt. Nur mit Disziplin kommt man irgendwann wieder aus diesem Loch heraus.

    Und Ausdauer. Die Ausdauer des Wartens. Während man buchstäblich die Fitness der langen Trainingszeit sich verflüchtigen spürt. Für immer und ewig, auch davon ist man überzeugt.

    Ausdauer und Disziplin, beim Schreiben wie beim Langlauf, ein bekanntes Thema. Die Ungeduld, wenn man plötzlich aus irgendeinem Grund nicht schreiben kann, ist dieselbe Ungeduld wie bei Verletzungspausen. Auch in der Kehrseite von Ausdauer und Disziplin bleiben sich Schreiben und Laufen verbunden. Umso mehr ist mir schleierhaft, dass Haruki in all den Jahren die Verletzungen vermieden hat. Nach dem California International Marathon Ende 2012 musste ich mit einer Muskelverletzung über zwei Monate aussetzen. Zwei Monate ohne meine Drogen! Hier beneide ich ihn echt, nie verletzt, der tägliche Lauf, immer die Droge griffbereit.

  • Grabstein – 3

    12. Oktober 2013

    At least he never walked

    Mut zum Risiko, der Draufgänger, das Herz! Der Drang zum Erfolg trägt im Kern das Scheitern in sich. Haruki geht mit Vernunft an die Sache, er kontrolliert und begrenzt das Risiko, vermeidet die lauernde Gefahrenzone, die Linie in knalligem Rot. Als wolle er nicht testen, was letztlich in ihm drin ist. Jedenfalls beim Marathon.

    Zum Sieg gehört Mut und Herz. Und trotz allem Gerede, mitmachen reicht auf die Dauer nicht aus, gewinnen zählt. Um zu gewinnen, muss man nicht erster sein, sondern die eigenen Grenzen überschritten haben. Al least he never walked, die eigene Grenze kennt Haruki in Wirklichkeit nicht. Aber offensichtlich ist ihm das auch ziemlich gleichgültig.

  • Mein Lauf mit Haruki um den Imperial Palace in Tokio

    15. November 2013

    Haruki Murakamis Buch erschien in Japan im Jahr 2007 und in der englischen Übersetzung 2008. Im Nachwort zur englischen Übersetzung beschreibt er sein Programm, jeweils einen Straßen Marathon in der kalten Jahreszeit und einen Triathlon in der warmen. Damals blickte er auf 25 Jahre Langlauf zurück. Wir fingen etwa zur gleichen Zeit mit dem Laufen an, 2008 gewann ich meine Altersklasse im Berlin Marathon.

    Was er wohl heute macht, fünf Jahre später? Ob er seine Marathonroutine aufrechterhalten hat? Ich laufe im Moment sechs Tage in der Woche, am Wochenende bis zu drei Stunden im Wald. Die Straßenmarathons habe ich vorerst gestrichen.  Aber nach jedem der großen Marathons warte ich ungeduldig auf die Ergebnisse und denke mir, wenn ich sie lese, was hätte sein können. Mittlerweile geht es um die Altersklasse siebzig, und jedes Mal der aufreizende Stich, die Siegerzeit wäre bei mir noch lässig drin gewesen.

    Meinen Siebzigsten habe ich in Japan gefeiert, eine Kurzreise, zwei Tage Tokio, zwei Tag japanische Alpen außerhalb von Matsumoto, zwei Tage Kyoto. Ich kenne Japan recht gut, ich fühle mich der Kultur, den Menschen und der Landschaft auf eine besondere Weise verbunden. Vielleicht weil auch heute noch vieles so fremd und die Verständigung, wenn man alleine reist, ein Abenteuer bleibt. In Tokio nahm ich ein Hotelzimmer mit Blick auf den Imperial Palace, wobei der Blick auf die Langlaufstrecke um den Palast der wahre Grund für diese Entscheidung war. Etwa wie in New York der Blick auf das Reservoir im Central Park.  Ich bin in der Vergangenheit beide Strecken oft gelaufen, auch Haruki beschreibt in seinem Buch beide Läufe.  Bei dem Gedanken an Tokio stellte ich mir vor, zusammen mit Haruki den Lauf um den Palast in aller Frühe an einem Sonntag- oder Montagmorgen zu absolvieren. Warum nicht, eigentlich das Selbstverständlichste der Welt, zwei Langläufer und Schriftsteller, oder war es wieder einmal so ein Hirngespinst, in das ich mich verrenne? Über einen Kontakt beim Knopf –Verlag in New York sprach ich Harukis US-Agenten an, der aber tags darauf schon absagte.  Einfach Nein, nicht etwa weil Haruki zu dem Zeitpunkt nicht in Tokio sei oder sonst eine etwas abfedernde Antwort. Nein, brutal basta! Haruki wurde natürlich nie gefragt. Dass er sich als berühmter Schriftsteller vor dem Andrang des Publikums schützen lässt, versteht sich, aber als Langläufer? Und Langläufer und Schriftsteller?

    Die unerbittlichen Türsteher. Herta Mueller fällt mir dabei ein, der ich, nachdem sie den Nobelpreis bekommen hatte, über ihren Verlag einige Beobachtungen zuschickte, die ich vor über vierzig Jahren bei einem Besuch in einem deutschen Dorf im Banat geschrieben hatte, das sie auch in ihren Büchern erwähnt, und die irgendwie in ihrem Stil so anders als alles, was ich sonst schreibe, waren, unter dem Einfluss der Sprache dort. Wie auch Herta Mueller von dort geprägt eine unverkennbar eigene Stimme in der Literatur hat. Aber keine Reaktion, weder von ihr noch vom Verlag, der Türsteher beim Verlag hat meine Anfrage wahrscheinlich gleich entsorgt. Oder Max Frisch, mehr als fünfzig Jahre liegt das zurück, in St. Moritz, ich war damals siebzehn, Stiller war meine Bibel, und als ich erfuhr, dass er in einem kleinen Hotel auf dem Weg von St. Moritz-Bad nach St. Moritz-Dorf wohnte, brachte ich einen Brief für ihn zum Empfang, dass ich ihn gerne besuchen würde, erwähnte auch meinen damals noch einigermaßen bekannten Schriftsteller- Großvater, aber zu der von mir vorgeschlagenen Zeit beantwortete niemand den Anruf in seinem Zimmer und er hatte dem jungen Verehrer keine Nachricht, etwas Ermutigendes, hinterlassen. Schließlich gehörte einige Selbstüberwindung dazu, in meinem Alter, das musste er doch wissen. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, die Berühmten sind anders.

    Aber trotz allem, bei Haruki tut es mir leid. Wir hätten uns echt einiges zu erzählen gehabt auf den 3.8 Meilen um den Palast. Ich bin ziemlich sicher, dass wir noch eine Runde zugelegt hätten.

  • Boston 2014

    19. April 2014

    Samstag vor dem 2014 Boston Marathon. Den hatte ich auch mal im Visier, aber erst vermasselte ich meine Qualifikation und dann kamen die 2013 Bomben. Statt Boston mache ich einen Berglauf von Stinson Beach auf den Mt. Tamalpais. Und Haruki, ob er in Boston dabei ist, die Qualifikation noch einmal geschafft hat? Boston 2014 wird ein Lauf der Emotionen, als ob ein Marathon noch extra einen Schub Emotionen benötige. Ob Haruki überhaupt noch Marathons läuft? Unvorstellbar, dieser Gedanke, vor Jahren. Ich habe mich damit abgefunden, aber jetzt vor Boston spüre ich doch eine seltsame Unruhe in mir. Vor zehn Jahren habe ich in einer grauenvollen Hitzeschlacht dort meine Altersklasse gewonnen.

    Bei diesem Lauf auf den Mt. Tamalpais kenne ich jeden einzelnen Abschnitt und die jeweiligen Zwischenzeiten, an guten und an schlechten Tagen. Heute ist an sich ein guter Tag, und doch bin ich an jedem Kontrollpunkt ein oder zwei Minuten langsamer. Meine alten Zeiten und der Körper von damals, mit dem ich nicht mehr mithalten kann. Mein alter und mein jetziger Körper, die sich immer weiter voneinander weg bewegen. So ist es eben, das Leben. Aber warum finde ich mich dann nicht damit ab?

    Haruki macht wahrscheinlich die gleiche Erfahrung und findet sich damit auch nicht einfach ab. Es sei denn, ich habe eine völlig falsche Vorstellung von ihm.

    Die Zeit meines Berglaufs heute: 2:59. Eine schöne Marathonzeit, mit der ich leicht wieder meine Altersklasse gewonnen hätte. Aber es ist nur noch ein Traum, und dabei bleibt es.

     

  • Von Sugar Bowl nach Squaw Valley

    24. August 2014

    Die Marathons waren die Marker bei Haruki und mir. Mittlerweile habe ich den jährlichen Marathon mit dem Lauf in der Sierra Nevada von Sugar Bowl nach Squaw Valley ersetzt, entlang dem Pacific Crest Trail. Der Test, was noch in mir steckt. In der Vergangenheit lief ich die Strecke meist allein, und brauchte dafür um die dreieinhalb Stunden.  Der Start in 2000 Meter Höhe, am höchsten Punkt  geht es über 3000. Meist ein traumhafter Pfad aber gelegentlich wird es technisch über Felsen und Geröll.  Ohne dass sich der exakte Punkt voraussagen ließe, verspür ich jedes Mal ein unwahrscheinliches Glücksgefühl, während ich durch diese einmalige Bergeinsamkeit keuche. Als singe meiner Körper. Etwas Überheblichkeit schwingt auch mit, aber das gehört zum Marathon.  Tatsächlich ist die Strecke kürzer als der Marathon, aber die Anstrengung entspricht dem mindestens. Schließlich habe ich alle meine Marathons in unter dreieinhalb Stunden gelaufen.

    Die letzten drei Jahre musste ich den Lauf ausfallen lassen, meist wegen dem Rauch von Waldbränden irgendwo zwischen Lake Tahoe und dem Yosemite National Park. Plötzlich die Unsicherheit, dass sich seit meinem letzten Lauf etwas mit mir verändert haben könnte, ich traue mich nicht mehr, allein zu laufen. Und ohne Telefon.  Erstmals laufe ich in Begleitung. Die ersten drei Kilometer steil aufwärts, bis sich der Pfad auf der Höhe ebnet. In die Ferne erstrecken sich  rollende Berge, die wir in den nächsten Stunden nacheinander bezwingen müssen. On the top of the world. Das Sierra-Blau mit seiner unglaublichen Tiefe. Ein windstiller, sonniger Tag, nur unser Schnaufen und der Klang der Schritte. Eine seltene Einheit von Körper und Natur. In diesen Momenten stellt man nichts in Frage, und es erklärt sich von selbst, warum man das tun muss.

    Natürlich sind wir am Ende verbraucht und erschöpft. Aber das ist die Sache wert, dieses Hoch, in dem man soeben geschwebt ist. Ausdauer und Natur, eine einmalige Mischung.

    Haruki hat gegen Ende seines Buchs, in dem er  über seine Langlauf- und Schreiberfahrung schreibt, den Marathon zunehmend durch den Triathlon ersetzt. Ich habe den Marathon mit diesem Sierra Lauf ersetzt. Mein jährlicher  Test. Ausdauer pur. Und jedes Jahr von neuem  die Zweifel, ob ich es noch einmal schaffen werde. Und an dieser Stelle treffen sich Langlauf und Schreiben wieder. Ein neues Buch, dieser unvorstellbare Berg, wieder von vorne beginnen, eine unbekannte Strecke, die sich unendlich vor einem aufbaut, und die Angst, man habe sich zu viel vorgenommen. Die Angst zu versagen. Bei dem Berglauf wie beim Schreiben. Die falschen Gipfel, man meint, es  geschafft zu haben, quält sich hinauf, nur um zu realisieren, dass der Pfad dahinter zu einem höheren Gipfel führt, man noch lange nicht am Ziel ist.  Ein höhnischer Trug. Spreche ich jetzt vom Schreiben oder vom Laufen? Es spielt keine Rolle, diese Erfahrung trifft auf beide zu.

  • Das abbröckelnde Denkmal

    14.11.2014

    What I Talk About When I Talk About Running,  das Buch von Haruki Murakami über Langlauf und Schreiben,  vor über zehn Jahren veröffentlicht. Wie weit das seine Routine heute noch widerspiegelt? Weiterhin einen Marathon pro Jahr oder ist er voll auf Triathlons umgestiegen? Oder hat er das Ganze an den Nagel gehängt und schläft dafür morgens länger? In dem Alter, in dem er sich jetzt befindet, habe ich den New York Marathon gewonnen und Berlin stand noch einige Jahre bevor.  Ob sein Körper noch mitmacht, die Rennerei zehrt an einem, ich habe insoweit Glück, aber wie sieht es bei ihm aus? Ich weiß nichts über seine Lebensgewohnheiten, außer was er eben in diesem Buch preisgibt. Und seine Romane, mit diesem japanischen Tonfall, der mir immer gefiel. Darauf baue ich mir sein Bild auf, dieses tatsächlich sehr positive Bild. Ich hoffe, er hat die Langlaufroutine beibehalten. Sonst ginge diesem Bild die Luft aus. Die Langlaufroutine und die Schreibroutine und wie sie sich beide befruchten.

    Aber mit einem Mal gerät dieses Bild aus ganz anderem Grund ins Wanken.  James Frey, der etwas kontroverse amerikanische Schriftsteller, beschrieb kürzlich seine eigene Praxis dahin, dass er in erster Linie die Konzepte entwickle und dann die Bücher gegen Bezahlung von Dritten schreiben ließe. Er stehe damit nicht allein, betont er, sondern andere wie Haruki Murakami oder der Künstler Jeff Koons machten dies ebenso, lediglich die Ideen beizusteuern und dann die Ausführung Assistenten zu überlassen. Von Jeff Koons weiß man das, ich habe sein Studio in New York vor zwei Jahren besucht, es wimmelte von Mitarbeitern, nur der Meister selbst war nicht anwesend, und warum auch? Aber Haruki? Ich kann diese Anschuldigung von James Frey  einfach nicht glauben. Dieser Klang bei Harukis Prosa, das kann nur die eine Stimme sein. Aber dann ist Jeff Koons auch unverwechselbar.

    Die ersten Risse in meinem perfekten Bild von ihm. Dritte schreiben zu lassen, das  wäre vergleichbar der Einnahme von leistungssteigernden Aufputschmitteln beim Langlauf. Was bei ihm keinesfalls der Fall gewesen ist, denn in seinem Buch beschreibt er ja gerade das allmähliche Absinken seiner sowieso nicht besonderen Zeiten. Also ein Zeichen des Erfolgs beim Schreiben? Die Gunst des Marktes nutzen, die Schnelllebigkeit unserer Zeit verlangt nach neuen Produkten in immer kürzeren Intervallen. Das zermürbende und zeitaufwendige Abringen des Textes, ein Prozess, der sich nicht ohne weiteres beschleunigen lässt. Aus diesem Grund passte von Anfang an der Vergleich des Langlauftrainings mit dem mühsamen Abfassen der Seiten, Running and Writing, wie sie sich konsequent ergänzen.

    Umso mehr bleibt die Frage, wie Haruki es jetzt mit Langlauf und Schreiben hält. Vielleicht finden wir einen Termin auf der Frankfurter Buchmesse 2015, danach ein Langlauf am Main entlang?