Von Sugar Bowl nach Squaw Valley

24. August 2014

Die Marathons waren die Marker bei Haruki und mir. Mittlerweile habe ich den jährlichen Marathon mit dem Lauf in der Sierra Nevada von Sugar Bowl nach Squaw Valley ersetzt, entlang dem Pacific Crest Trail. Der Test, was noch in mir steckt. In der Vergangenheit lief ich die Strecke meist allein, und brauchte dafür um die dreieinhalb Stunden.  Der Start in 2000 Meter Höhe, am höchsten Punkt  geht es über 3000. Meist ein traumhafter Pfad aber gelegentlich wird es technisch über Felsen und Geröll.  Ohne dass sich der exakte Punkt voraussagen ließe, verspür ich jedes Mal ein unwahrscheinliches Glücksgefühl, während ich durch diese einmalige Bergeinsamkeit keuche. Als singe meiner Körper. Etwas Überheblichkeit schwingt auch mit, aber das gehört zum Marathon.  Tatsächlich ist die Strecke kürzer als der Marathon, aber die Anstrengung entspricht dem mindestens. Schließlich habe ich alle meine Marathons in unter dreieinhalb Stunden gelaufen.

Die letzten drei Jahre musste ich den Lauf ausfallen lassen, meist wegen dem Rauch von Waldbränden irgendwo zwischen Lake Tahoe und dem Yosemite National Park. Plötzlich die Unsicherheit, dass sich seit meinem letzten Lauf etwas mit mir verändert haben könnte, ich traue mich nicht mehr, allein zu laufen. Und ohne Telefon.  Erstmals laufe ich in Begleitung. Die ersten drei Kilometer steil aufwärts, bis sich der Pfad auf der Höhe ebnet. In die Ferne erstrecken sich  rollende Berge, die wir in den nächsten Stunden nacheinander bezwingen müssen. On the top of the world. Das Sierra-Blau mit seiner unglaublichen Tiefe. Ein windstiller, sonniger Tag, nur unser Schnaufen und der Klang der Schritte. Eine seltene Einheit von Körper und Natur. In diesen Momenten stellt man nichts in Frage, und es erklärt sich von selbst, warum man das tun muss.

Natürlich sind wir am Ende verbraucht und erschöpft. Aber das ist die Sache wert, dieses Hoch, in dem man soeben geschwebt ist. Ausdauer und Natur, eine einmalige Mischung.

Haruki hat gegen Ende seines Buchs, in dem er  über seine Langlauf- und Schreiberfahrung schreibt, den Marathon zunehmend durch den Triathlon ersetzt. Ich habe den Marathon mit diesem Sierra Lauf ersetzt. Mein jährlicher  Test. Ausdauer pur. Und jedes Jahr von neuem  die Zweifel, ob ich es noch einmal schaffen werde. Und an dieser Stelle treffen sich Langlauf und Schreiben wieder. Ein neues Buch, dieser unvorstellbare Berg, wieder von vorne beginnen, eine unbekannte Strecke, die sich unendlich vor einem aufbaut, und die Angst, man habe sich zu viel vorgenommen. Die Angst zu versagen. Bei dem Berglauf wie beim Schreiben. Die falschen Gipfel, man meint, es  geschafft zu haben, quält sich hinauf, nur um zu realisieren, dass der Pfad dahinter zu einem höheren Gipfel führt, man noch lange nicht am Ziel ist.  Ein höhnischer Trug. Spreche ich jetzt vom Schreiben oder vom Laufen? Es spielt keine Rolle, diese Erfahrung trifft auf beide zu.