• Lesung im Kulturzentrum Obere Burg in Rheinbreitbach

    JR Bechtle ist der Enkel von Rudolf Herzog, einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller in der Zeit um den Ersten Weltkrieg. Seinem ersten Erfolg  Die vom Niederrhein (1903) folgte eine lange Liste von Bestsellern, einschließlich  Die Burgkinder (1911), Die Stoltenkamps und ihre Frauen(1917) und Die Wiskottens (1921), alle erschienen im Cotta-Verlag. 1908 kaufte Herzog die Obere Burg in Rheinbreitbach, zwischen Bad Honnef und Unkel. JR Bechtle verbrachte seine Kindheit dort, ohne seinen Großvater, der 1943 verstarb, gekannt zu haben.  Die Erinnerung an Rudolf Herzog dominierte das Leben auf der Burg. Sein unberührt gebliebenes Arbeitszimmer hat damals einen tiefen Eindruck bei JR Bechtle hinterlassen. Der Drang zum Schriftsteller entwickelte sich in natürlicher Konsequenz.

  • Laufen und Wahnsinn

    12. Juni 2013

    Natürlich, manchmal kann man nur den Kopf schütteln. Wahnsinn. Etwa als sich Haruki Murakami  in Griechenland spontan entschloss, die ursprüngliche Marathonstrecke abzulaufen, bevor er je an einem Marathon teilgenommen hatte. Eine totale Furzidee, ohne das entsprechende Training und bei der sommerlichen griechischen Hitze. Wenigstens lief er die Strecke umgekehrt, von Athen nach Marathon,  wegen  dem Stadtverkehr und der Luftverschmutzung sonst in Athen am Ende des Laufs. Zu Beginn trug in die Euphorie, bis es mit der Zeit zu einem qualvollen und nicht endend wollenden Lauf wurde. Der Japaner in seinen Laufshorts mit nacktem Oberkörper in sengender Hitze. Ein Spinner, dachte jeder, der ihn so sah.

    Ich halte alle Ultramarathonläufer mehr oder weniger für Wahnsinnige. Als reichte der Marathon nicht aus. In der Sierra Nevada gibt es jährlich einen 1oo Meilenlauf (170 Kilometer) von Squaw Valley nach Auburn, über verschneite Gipfel und tief geschnittene Taler, in denen die Temperatur auf  weit über dreißig Grad Hitze steigt. Die letzten vierzig Meilen darf ein Helfer den dann oft schon angeschlagenen Läufer durch die Nacht auf schwierigen Pfaden begleiten. Zweimal habe ich das gemacht, 40 Meilen mit einem ziemlich inkohärenten Läufer, einmal brauchten wir zusammen zwölf Stunden, beim nächsten Mal dreizehn. Im Flackern der Taschenlampen, ohne stundenlang auf jemand zu treffen. Gesponnen war das schon,  aber dann morgens am Ziel im Stadium von Auburn, da überkommt einen ein Gefühl, das mit nichts zu vergleichen ist. Nach einer durchgerannten Nacht und seit Stunden brennt  wieder die Sonne. Dasselbe Gefühl, das Haruki damals auch total erschöpft in Marathon gehabt haben muss.

    Davon ahnt man vorher nichts, das muss man erlebt haben. Als habe der Wahnsinn auch seine gute Seite.

  • Hariku Murakamis Grabstein

    14. Juli 2013

    Haruki hat seinen Grabstein bereits entworfen:

                                           Haruki Murakami

                                           1949 – 20**

                                          Writer (and Runner)

                                        At Least He Never Walked.

    Jeder unterliegt seinen eigenen Zwängen. Für ihn besteht beim Marathon die unumstößliche Vorgabe, keinesfalls stehenzubleiben und ein Stück zu gehen, um neue Kräfte zu schöpfen. Seine Einstellung  zwingt  zur Vernunft, nie aufs volle zu gehen. Ich habe das nicht immer geschafft. Nach all dem Trainingsaufwand geht es bei mir um Zeit, und um Platzierung. Ich laufe immer nahe an meiner körperlichen Grenze. Gelegentlich überschreite ich sie, ohne dies noch rechtzeitig zu bemerken. Ich habe den totalen Crash erlebt, wo es plötzlich nicht mehr ums Laufen oder Gehen geht, sondern ums Noch-Einmal- Aufwachen. Ich werde nie die Stimme aus dem Dunkel nach einen Zusammenbruch in San Diego bei 38 Kilometer vergessen: sein Herz schlägt noch. Das klang beruhigend, ich befand mich noch im Diesseits. Wenn ich durchgehalten hätte, wäre es eine tolle Zeit geworden.

    Außer in San Diego musste ich noch einmal im Crash aufgeben. Beide  Mal lief ich weit über meine Grenzen hinaus. Haruki schützt sich vor diesem Punkt. Beim Berlin Marathon vor fünf Jahren hatte ich einen Spitzenlauf, aber dann wieder bei  etwa 38 Kilometer war mein Körper plötzlich verbraucht. Ein Gefühl, als wäre ich in die Berliner Mauer gerast. Aber mein Trainer hatte mir eingetrichtert,  komme was wolle, den Lauf zu beenden. Ich ging eine Zeitlang im Schritt, joggte wieder, mit verzogenem Körper, mit einem Mal war ich alt, aber ich gab nicht auf. Die Nettozeit lag im Ende immer noch einige Sekunden unter drei Stunden. Und ich hatte die 65er Altersklasse gewonnen. But I walked! Was Haruki dazu gesagt hätte? So eine Zeit hat er nie hingelegt.

    An der Spitze mitzulaufen, wenn man den Erfolg einmal gerochen hat, hat seinen Reiz. Haruki hat jeden Marathon beendet und ist nie im Schritt gegangen. Ich habe zwei im Crash aufgegeben und bin verschiedentlich, wenn es sein musste, ein Stück gegangen. Aber einige habe ich gewonnen. Das war es dann wert.

     

  • Grabstein – 2

    18. Juli 2013

    At Least He Never Walked

    Das kann ich nicht von mir behaupten, wenn es sein muss, gehe ich auch ein Stück beim Marathon. Mein Stolz liegt anderswo. Aber nachdem ich erstmals bei einem Marathon verletzt ausgeschieden bin, der mein Qualifizierungslauf für Boston 2014 sein sollte, eigentlich eine reine Formsache, und mit dem Gedanken spiele, nie mehr einen Marathon zu laufen, da dachte ich an Haruki bei einem über dreistündigen Lauf am Samstagmorgen. Gegen Ende des Laufs,  der von den Redwoods in Muir Woods zum Cardiac auf dem Mount Tamalpais steil hochgeht, der brutalste Abschnitt des jährlichen Dipsea Rennens  von Mill Valley nach Stinson Beach, fiel mir Harukis Grabstein ein. Ich entschloss mich, ihm diesen härtesten Teil der Strecke zu widmen, ihm zu Ehren wollte ich nie auch nur einen Schritt gehen

    Die Strecke steigt wahnsinnig steil aufwärts, ein unebener Pfad, Steine und Wurzeln, manchmal muss man sich förmlich in den Berg krallen, es geht nur langsam vorwärts, aber immer joggend, nie im Schritt, wie schwer es mir auch gelegentlich fiel, die Muskeln brüllten und meine Lunge schrie, aber auch nicht einen Schritt habe ich beigegeben. Bei Bergläufen glaubt man  manchmal den Gipfel zu erahnen,  aber dann handelt es sich nur um eine Welle und dahinter steigt es weiter an, steiler als zuvor. Das gilt besonders für diese Strecke,  immer wieder die Täuschung und doch noch nicht am Ziel. Dreiunddreißig Minuten benötigte ich von Muir Woods  bis zum Gedenkbrunnen für Sam Hirabayaschi am Cardiac, dem Gipfel, von wo es gemütlich abwärts nach Stinson Beach geht.

    I never walked! Es war ein tolles Gefühl. Für Haruki. Er weiß offensichtlich, wovon er spricht.