15. November 2013
Haruki Murakamis Buch erschien in Japan im Jahr 2007 und in der englischen Übersetzung 2008. Im Nachwort zur englischen Übersetzung beschreibt er sein Programm, jeweils einen Straßen Marathon in der kalten Jahreszeit und einen Triathlon in der warmen. Damals blickte er auf 25 Jahre Langlauf zurück. Wir fingen etwa zur gleichen Zeit mit dem Laufen an, 2008 gewann ich meine Altersklasse im Berlin Marathon.
Was er wohl heute macht, fünf Jahre später? Ob er seine Marathonroutine aufrechterhalten hat? Ich laufe im Moment sechs Tage in der Woche, am Wochenende bis zu drei Stunden im Wald. Die Straßenmarathons habe ich vorerst gestrichen. Aber nach jedem der großen Marathons warte ich ungeduldig auf die Ergebnisse und denke mir, wenn ich sie lese, was hätte sein können. Mittlerweile geht es um die Altersklasse siebzig, und jedes Mal der aufreizende Stich, die Siegerzeit wäre bei mir noch lässig drin gewesen.
Meinen Siebzigsten habe ich in Japan gefeiert, eine Kurzreise, zwei Tage Tokio, zwei Tag japanische Alpen außerhalb von Matsumoto, zwei Tage Kyoto. Ich kenne Japan recht gut, ich fühle mich der Kultur, den Menschen und der Landschaft auf eine besondere Weise verbunden. Vielleicht weil auch heute noch vieles so fremd und die Verständigung, wenn man alleine reist, ein Abenteuer bleibt. In Tokio nahm ich ein Hotelzimmer mit Blick auf den Imperial Palace, wobei der Blick auf die Langlaufstrecke um den Palast der wahre Grund für diese Entscheidung war. Etwa wie in New York der Blick auf das Reservoir im Central Park. Ich bin in der Vergangenheit beide Strecken oft gelaufen, auch Haruki beschreibt in seinem Buch beide Läufe. Bei dem Gedanken an Tokio stellte ich mir vor, zusammen mit Haruki den Lauf um den Palast in aller Frühe an einem Sonntag- oder Montagmorgen zu absolvieren. Warum nicht, eigentlich das Selbstverständlichste der Welt, zwei Langläufer und Schriftsteller, oder war es wieder einmal so ein Hirngespinst, in das ich mich verrenne? Über einen Kontakt beim Knopf –Verlag in New York sprach ich Harukis US-Agenten an, der aber tags darauf schon absagte. Einfach Nein, nicht etwa weil Haruki zu dem Zeitpunkt nicht in Tokio sei oder sonst eine etwas abfedernde Antwort. Nein, brutal basta! Haruki wurde natürlich nie gefragt. Dass er sich als berühmter Schriftsteller vor dem Andrang des Publikums schützen lässt, versteht sich, aber als Langläufer? Und Langläufer und Schriftsteller?
Die unerbittlichen Türsteher. Herta Mueller fällt mir dabei ein, der ich, nachdem sie den Nobelpreis bekommen hatte, über ihren Verlag einige Beobachtungen zuschickte, die ich vor über vierzig Jahren bei einem Besuch in einem deutschen Dorf im Banat geschrieben hatte, das sie auch in ihren Büchern erwähnt, und die irgendwie in ihrem Stil so anders als alles, was ich sonst schreibe, waren, unter dem Einfluss der Sprache dort. Wie auch Herta Mueller von dort geprägt eine unverkennbar eigene Stimme in der Literatur hat. Aber keine Reaktion, weder von ihr noch vom Verlag, der Türsteher beim Verlag hat meine Anfrage wahrscheinlich gleich entsorgt. Oder Max Frisch, mehr als fünfzig Jahre liegt das zurück, in St. Moritz, ich war damals siebzehn, Stiller war meine Bibel, und als ich erfuhr, dass er in einem kleinen Hotel auf dem Weg von St. Moritz-Bad nach St. Moritz-Dorf wohnte, brachte ich einen Brief für ihn zum Empfang, dass ich ihn gerne besuchen würde, erwähnte auch meinen damals noch einigermaßen bekannten Schriftsteller- Großvater, aber zu der von mir vorgeschlagenen Zeit beantwortete niemand den Anruf in seinem Zimmer und er hatte dem jungen Verehrer keine Nachricht, etwas Ermutigendes, hinterlassen. Schließlich gehörte einige Selbstüberwindung dazu, in meinem Alter, das musste er doch wissen. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, die Berühmten sind anders.
Aber trotz allem, bei Haruki tut es mir leid. Wir hätten uns echt einiges zu erzählen gehabt auf den 3.8 Meilen um den Palast. Ich bin ziemlich sicher, dass wir noch eine Runde zugelegt hätten.