Running and Racing

01. August 2013

Haruki Murakami hatte einen Marathon pro Jahr zum Ziel. Die Zeiten schienen dabei keine Rolle zu spielen, als ging es ihm allein um sich. Zeiten, der Vergleich, das hat mit andren zu tun. What I Talk About When I Talk About Running befasst sich mit der Vorbereitung auf den 2005 New York City Marathon und darum gewoben Philosophisches über die wechselseitige Beeinflussung von Laufen und Schreiben. Aber dann spielte in New York eben doch die Zeit eine Rolle. Als er erstmals die vier Stunden nicht knackte, stürzte  er emotional in ein Riesenloch. Das Laufen, der treue Freund und Vertraute, gab plötzlich nicht mehr her, worauf  er sich jahrelang hatte verlassen können. Ein Ausreißer, versuchte er sich zu beruhigen, aber sechs Monate später beim Boston Marathon dasselbe Ergebnis. Eine bittere innere Enttäuschung, etwas war geschehen, der Faden war gerissen. Und es ist schwer, aus diesem Tief wieder herauszufinden.

Ich machte eine ähnliche Erfahrung beim 2012 California International Marathon in Sacramento, mein Qualifizierungslauf für Boston 2014. Das Trainingsprogramm, von meinem Langlauftrainer vorgegeben, sieht anders aus als das von Haruki. Qualität geht über Volumen, wichtig der Rhythmus zwischen Geschwindigkeitstraining im Stadium, von 10-15 Kilometer Läufen im Marathontempo oder schneller, und von 30km oder längeren Strecken am Wochenende. Dazwischen jeweils ein Tag mit leichtem Joggen, oder ein Ruhetag. Beim letzten Training im Stadium, acht mal 800 Meter, spürte ich plötzlich einen scharfen Sich im Oberschenkel. Ich wusste sofort, mit dem Marathon war es vorbei. Aber nach vier Monaten härtestem Training war ich nicht bereit, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Willenskraft über Körper, trotz Verletzung und gegen einen vom Pazifik in die Sierra Nevada peitschenden  monsunartigen Regensturm ging ich an den Start. Aber nach dreißig Kilometern gab ich enttäuscht auf,  ich hatte nie zu meinem normalen Laufstil gefunden, rannte total verzerrt und  auf den Zehenspitzen auftretend, um dem Schmerz im Schenkel abzufedern.

Ich bin bei Marathons mehr als einmal gegen die Wand gerannt, aufgegeben habe ich jedoch nie. Aber es blieb mir keine Wahl. Und obwohl alles logisch erklärbar ist – Verletzung, ein verzogener Laufstil und ein verkrampfter Körper, ich hätte nie starten dürfen -, hat sich unvermittelt der Stellenwert der großen Straßen Marathons  verschoben. Boston 2014 hat seinen Reiz verloren

Derselbe Einschnitt, den Haruki damals in New York auch gespürt hat. Natürlich bleibt es bei dem regelmäßig morgendlichen Lauf, aber meine Langlaufziele sind einsame drei- und vierstündige Wald- und Bergläufe und nicht mehr die Straßen Marathons.

Vielleicht ändert sich das eines Tages wieder, aber so sieht es gegenwärtig aus. Haruki hat sich nach dem Wirklichkeitsschock von New York auf den Triathlon verlegt, wobei Laufen seine beste Disziplin ist. Aber es geht eben nicht mehr ums Laufen allein. Für mich steht ein 35 km Höhenlauf in der Sierra Nevada auf dem Programm, in dreitausend Meter Höhe,  drei bis vier Stunden allein in Wind und Sonne und hoffentlich wieder mit diesem herrlichen Hochgefühl der körperlichen Verausgabung.

Running, not Racing. Mein innerer Langlauffrieden ist wiederhergestellt. Ich hoffe, Haruki kann das auch von sich sagen.