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  • Lesung im Kulturzentrum Obere Burg in Rheinbreitbach

    JR Bechtle ist der Enkel von Rudolf Herzog, einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller in der Zeit um den Ersten Weltkrieg. Seinem ersten Erfolg  Die vom Niederrhein (1903) folgte eine lange Liste von Bestsellern, einschließlich  Die Burgkinder (1911), Die Stoltenkamps und ihre Frauen(1917) und Die Wiskottens (1921), alle erschienen im Cotta-Verlag. 1908 kaufte Herzog die Obere Burg in Rheinbreitbach, zwischen Bad Honnef und Unkel. JR Bechtle verbrachte seine Kindheit dort, ohne seinen Großvater, der 1943 verstarb, gekannt zu haben.  Die Erinnerung an Rudolf Herzog dominierte das Leben auf der Burg. Sein unberührt gebliebenes Arbeitszimmer hat damals einen tiefen Eindruck bei JR Bechtle hinterlassen. Der Drang zum Schriftsteller entwickelte sich in natürlicher Konsequenz.

  • Meine stereotype Antwort

    15. Februar 2013

    Running + Writing war meine stereotype Antwort in den vergangenen fünfzehn Jahren  auf die Frage, was ich denn eigentlich mache. In dieser Zeit habe ich meine Altersklasse in den Marathons von Chicago, Boston, New York und zuletzt Berlin gewonnen. Beim Schreiben bin ich dagegen regelmäßig gegen die Wand gerannt.  Trotzdem habe ich weiter geschrieben.  Ausdauer ist mein Freund.  Und jetzt  mit  Hotel von Gogh ist mir auch beim Schreiben der Durchbruch gelungen.

    Ein Essay über Running and Writing hatte ich seit langem geplant, aber immer wieder hinausgeschoben. Bis ich eines Tages auf ein Interview mit Haruki Murakami stieß, dessen Bücher ich immer gerne gelesen hatte, ich glaube im Spiegel, mit dem Titel Running and Writing. Ein Gefühl als sei ich überfallen und beraubt worden. Mein Thema, und auf einmal gehört es mir nicht mehr. Aber dann bemerkte ich, dass dies nur die Überschrift eines cleveren Journalisten war. Haruki Murakamis Buch, um das es in dem Interview ging, heißt tatsächlich What I talk about when I talk about running.  Damit gehört Running + Writing  wieder mir.

  • Da fängt der Unterschied an

    28. Februar 2013.

    Haruki Murakami rennt mit Ohrstöpseln und Musik in den Ohren. Für mich eine grauenhaft beengende Vorstellung. Er hört das vergnügte morgendliche Erwachen der Vögel nicht,  das Rauschen des Winds in den Bäumen oder die vielfältigen Geräusche der Stadt. Mit den Stöpseln in den Ohren kann er weder sein schweres Atmen noch das Auftreten seiner Schritte hören. Ich weiß ja nicht, wo er läuft, vielleicht sind die Ohrstöpsel in Tokio den Klängen der Natur dort überlegen. Ich habe nie wirklich eine akzeptable Strecke in Tokio von acht oder zehn Kilometern finden können. Täglich um den Palast wird mit der Zeit eintönig, und was sonst? Aber er trägt die Ohrstöpsel auch, wenn er in Boston die herrliche Strecke am James River entlang läuft. Da hört mein Verständnis auf.

    Allerdings gefällt mir die Musik, die  Haruki Murakami beim Laufen hört,  Songs von Credence Clearwater Revival. Das stimmt mich etwas nachsichtiger.

     

  • Spätzünder

    26. März 2013

    Haruki Murakami fing, wie er sagt, erst in späteren Jahren mit dem Schreiben an. Vorher betrieb er zehn Jahre lang eine Jazz Bar in Tokio. Er war dreißig. Alles ist relativ. Dreißig scheint mir ziemlich jung, ihm wahrscheinlich heute auch. Und dieses vorherige Leben in der Jazz Bar, all die Eindrücke und Erfahrungen. Für mich hat er eine so ganz andere Stimme, und hätte er die ohne die Jahre im Jazzkeller je gefunden? Und wären ihm ohne diese zehn Jahre seine Themen nicht längst ausgegangen?

    Darauf hoffe ich natürlich auch, dieses vorherige Leben mit der Masse an Erlebnissen und Erkenntnissen, die mir jetzt nie zur Verfügung stünden, wenn ich nach dem Studium gleich mein erstes Buch über mein jugendliches Erwachen geschrieben hätte. Erstmals Stoff im Leben sammeln. Vielleicht fühle ich mich Murakami in erster Linie auch deswegen verbunden und nicht wegen dem Langlaufen.

  • Warum wir laufen

    17.April 2013

    Offensichtlich müssen wir laufen, Haruki und ich, wie unter Zwang, warum sonst jeden Tag? Aber dann treiben uns scheinbar doch unterschiedliche Gründe. Ich laufe früh am Morgen, fast noch im Halbschlaf, meine erste Handlung des Tages. Ich erlebe mit, wie sich in der kühlen Morgenluft mein Kopf allmählich klärt. Irgendwann denke ich unweigerlich über die Stelle nach, an der ich gerade arbeite. Die Gedanken laufen ziemlich unkontrolliert, aber häufig erkenne ich dann Szenen und Entwicklungen, die mir vorher nicht aufgefallen sind. Die sich jetzt genau zum richtigen Zeitpunkt aus dem Unterbewusstsein herausschälen. Am Ende meines morgendlichen Laufs weiß ich ziemlich genau, wie es heute weitergehen wird.

    Haruki Murakami ist auch Frühaufsteher, er steht sogar noch vor mir auf, aber bei ihm geht es dann sofort ans Schreiben. Vier bis fünf Stunden, dann hört er auf, bevorzugt an einem Punkt, an dem er genau weiß, wie es am nächsten Tag weitergeht. Erst dann der Lauf, wie ein Akt der Befreiung, bei dem er sich löst und entspannt. Die Musikstöpsel im Ohr, an nichts denkend, oder wenn er denkt, fließen die Gedanken wie kleine bunte Wölkchen vorbei. Er braucht das Laufen nicht zum Schreiben, sondern für den Rest des Tages. Ich muss morgens erst den Endorphinschub aus meinem Körper spüren. Schwer vorstellbar, Schreiben ohne vorher zu laufen. Das Hoch durch die Endorphine, und dann gleich der Mittagsschlaf?

     

  • 2013 Boston Marathon

    21. April 2013

    Ob Hariku Marukami den Boston Marathon je gelaufen ist? Ich bin darauf in seinem Running-Buch noch nicht gestoßen, vielleicht kommt das an späterer Stelle, aber er hat mehrfach monatelang in Cambridge gelebt, da sollte man es eigentlich erwarten. Er beschreibt die beliebte Langlaufstrecke am Charles River entlang, die ich auch bei jedem Besuch in Boston laufe. Vielleicht sind wir dort schon einmal aneinander vorbeigelaufen,  mit einem momentanen, sich aber sofort wieder verwischenden  Eindruck von dem anderen.

    Ich habe den Boston Marathon dreimal absolviert. Das erst mal 1988, meine bis dahin beste Marathonzeit, dann  wieder beim Hundertsten, und zuletzt vor neun Jahren. Beim Hundertsten spielte die Zeit eigentlich keine Rolle, aber Bill Rogers, die Boston Marathon Legende, lag, wie ich später erfuhr, nur zwei Minuten vor mir. Zwei Minuten wären lässig in mir gewesen. Vor neun Jahren herrschte eine Hitze von  über dreißig Grad,  eine einzige Qual, aber ich habe durchgehalten und  war ich schnellster in meiner Altersklasse.

    Die Stelle, an der die Bomben hochgingen, kenne ich gut. Vor neun Jahren warteten meine Frau und mein Trainer genau dort auf mich, beim Hundertsten standen dort meine Frau, meine Tochter und meine Eltern. An alles dachte man da, nur daran nicht. Nun hat sich mit der wunderbaren Erinnerung ein grauenvolles Erschrecken vermischt.

    Für 2014 hatte ich mir Boston erneut vorgenommen. Aber fürs Erste ist mir der Spaß vergangen. Jedoch bereits eine Woche nach den Bomben regt sich die andere Stimme in mir: jetzt erst recht! Vielleicht läuft Haruki mit mir zusammen. Man darf sich nicht unterkriegen lassen.

  • Regen

    05. Mai 2013

    Wenn es regnet, bleibe ich zu Hause und wechsle aufs Laufband um, zwar unwillig, aber ausfallen lass ich den Lauf wetterbedingt nicht. Allerdings, wenn es während des Laufs  zu regnen beginnt, mache ich weiter, auch wenn ich erst hundert Meter zurückgelegt habe. Plötzlich macht der Regen nichts mehr aus, ganz im Gegenteil, als steigere sich die Produktion der Endorphine. Haruki Murakami  läuft einfach jeden Tag, egal ob Regen, Sturm, Schnee oder Eis. Er muss abgehärteter sein als ich. Oder nur sturer.

    Einer meiner schönsten Läufe war vor Jahren im Sommer im Central Park in New York.  Ein drückend schwüler Tag, die Luft schwer, gefüllt mit dämpfigem  Meeresgeruch.  Beim Laufen war man sofort nassgeschwitzt. Plötzlich fing es zu regnen an. Ein warmer Sommerregen, als hätte sich die Schwüle zu Regentropfen verdichtet. Der Regen brachte etwas aufregend Befreiendes, je nässer ich wurde, umso übermütiger meine Stimmung.  Ich fing den Regen auf der ausgestreckten Zunge auf, lachte und sang laut vor mich hin, kindisch, ja, aber wann lässt sich  ein kindisches Glück auf diese Weise nochmal am eigenen Leib  erleben?  Beim Abendessen in einem der  vornehmen New Yorker Restaurants versuchte ich vergeblich, den anderen diese Erfahrung zu vermitteln. Das muss man  selbst erlebt haben, wenn eine Reihe besonderer Umstände aufeinander treffen und etwas völlig Alltägliches zum Außergewöhnlichen machen. Ein Gefühl wie Sex.

    Haruki und Sex. Ich bin noch nicht mit seinem Buch durch, aber bisher habe ich nichts zu Running und Sex gefunden. Sollte man eigentlich erwarten. Aber vielleicht ist er nie an einem schwülen Sommertag im Central Park im Regen gejoggt.

  • Laufen und Altern

    30. Juni 2013

    Haruki läuft jedes Jahr einen Marathon, außerdem einige kürzere Strecken. Er konzentriert sich dabei ganz auf sich, die anderen und deren Zeiten kümmern ihn nicht, behauptet er wenigstens. Was zählt ist  der Vergleich zu seinen früheren Zeiten.  Zeit das ehrliche Maß.  Er und die Zeit, die nur für ihn gilt.

    Ich nehme nur selten an Rennen teil, einmal wegen des Trainingsaufwands und dann der nervösen Anspannung vor dem Lauf, egal ob Marathon oder ein 10km. Die anderen? Ich will mit vorne dabei sein, besonders in meiner Altersgruppe. Ich spüre den Wettbewerbsdruck, die anderen sind mir nicht  gleichgültig. Selbst  bei meinem morgendlichen Lauf, wenn ich gedanklich vor mich hinträume, aber dann plötzlich Schritte hinter mir höre, ein schweres Atmen, das näher kommt, dann lege ich zu. Eine fast automatische körperliche Reaktion, obwohl mich meine Kopfsignale zurückhalten, als sei die Verbindung zwischen Kopf und Körper unterbrochen. Ich beschleunige mein Tempo, erst unmerklich, aber wenn die Schritte trotzdem näherkommen, dann echt und mit einem Mal gibt es ein Wettrennen.

    Früher konnte ich mir die, die dann noch an mir vorbeizogen, an einer Hand abzählen, es passierte ausgesprochen selten. Und ich freute mich bei der Vorstellung, wie sie hinter mir aufgeben mussten, und ich ihnen den Morgen verdorben hatte. Natürlich, wahrscheinlich war ihnen das ziemlich egal. Aber in letzter Zeit zunehmend, trotz aller Gegenwehr meinerseits,  schließen sie auf und ziehen an mir vorbei. Denken sich wahrscheinlich,  der spinnt, der Alte. Sie haben ja keine Ahnung, was sie mir antun.

    Der Rest des Tages ist nach der Niederlage erst mal versaut. Weil mir eben nichts deutlicher sagt, dass es nicht mehr wie früher ist. Das Altern, an dem man mit aller Fitness nicht vorbeikommt. Haruki nimmt das gelassener, vielleicht einfach erwachsener. Aber ich sträube mich und kämpfe dagegen, in der Illusion, dem Altern davonzulaufen. Und genau da liegt auch mein  Hauptproblem mit dem jährlichen Marathon: die Zeit des offiziellen Rennens und ihr unerbittlicher Vergleich zur Vergangenheit, man kann sich winden wie man will.

  • Laufen und Wahnsinn

    12. Juni 2013

    Natürlich, manchmal kann man nur den Kopf schütteln. Wahnsinn. Etwa als sich Haruki Murakami  in Griechenland spontan entschloss, die ursprüngliche Marathonstrecke abzulaufen, bevor er je an einem Marathon teilgenommen hatte. Eine totale Furzidee, ohne das entsprechende Training und bei der sommerlichen griechischen Hitze. Wenigstens lief er die Strecke umgekehrt, von Athen nach Marathon,  wegen  dem Stadtverkehr und der Luftverschmutzung sonst in Athen am Ende des Laufs. Zu Beginn trug in die Euphorie, bis es mit der Zeit zu einem qualvollen und nicht endend wollenden Lauf wurde. Der Japaner in seinen Laufshorts mit nacktem Oberkörper in sengender Hitze. Ein Spinner, dachte jeder, der ihn so sah.

    Ich halte alle Ultramarathonläufer mehr oder weniger für Wahnsinnige. Als reichte der Marathon nicht aus. In der Sierra Nevada gibt es jährlich einen 1oo Meilenlauf (170 Kilometer) von Squaw Valley nach Auburn, über verschneite Gipfel und tief geschnittene Taler, in denen die Temperatur auf  weit über dreißig Grad Hitze steigt. Die letzten vierzig Meilen darf ein Helfer den dann oft schon angeschlagenen Läufer durch die Nacht auf schwierigen Pfaden begleiten. Zweimal habe ich das gemacht, 40 Meilen mit einem ziemlich inkohärenten Läufer, einmal brauchten wir zusammen zwölf Stunden, beim nächsten Mal dreizehn. Im Flackern der Taschenlampen, ohne stundenlang auf jemand zu treffen. Gesponnen war das schon,  aber dann morgens am Ziel im Stadium von Auburn, da überkommt einen ein Gefühl, das mit nichts zu vergleichen ist. Nach einer durchgerannten Nacht und seit Stunden brennt  wieder die Sonne. Dasselbe Gefühl, das Haruki damals auch total erschöpft in Marathon gehabt haben muss.

    Davon ahnt man vorher nichts, das muss man erlebt haben. Als habe der Wahnsinn auch seine gute Seite.

  • Hariku Murakamis Grabstein

    14. Juli 2013

    Haruki hat seinen Grabstein bereits entworfen:

                                           Haruki Murakami

                                           1949 – 20**

                                          Writer (and Runner)

                                        At Least He Never Walked.

    Jeder unterliegt seinen eigenen Zwängen. Für ihn besteht beim Marathon die unumstößliche Vorgabe, keinesfalls stehenzubleiben und ein Stück zu gehen, um neue Kräfte zu schöpfen. Seine Einstellung  zwingt  zur Vernunft, nie aufs volle zu gehen. Ich habe das nicht immer geschafft. Nach all dem Trainingsaufwand geht es bei mir um Zeit, und um Platzierung. Ich laufe immer nahe an meiner körperlichen Grenze. Gelegentlich überschreite ich sie, ohne dies noch rechtzeitig zu bemerken. Ich habe den totalen Crash erlebt, wo es plötzlich nicht mehr ums Laufen oder Gehen geht, sondern ums Noch-Einmal- Aufwachen. Ich werde nie die Stimme aus dem Dunkel nach einen Zusammenbruch in San Diego bei 38 Kilometer vergessen: sein Herz schlägt noch. Das klang beruhigend, ich befand mich noch im Diesseits. Wenn ich durchgehalten hätte, wäre es eine tolle Zeit geworden.

    Außer in San Diego musste ich noch einmal im Crash aufgeben. Beide  Mal lief ich weit über meine Grenzen hinaus. Haruki schützt sich vor diesem Punkt. Beim Berlin Marathon vor fünf Jahren hatte ich einen Spitzenlauf, aber dann wieder bei  etwa 38 Kilometer war mein Körper plötzlich verbraucht. Ein Gefühl, als wäre ich in die Berliner Mauer gerast. Aber mein Trainer hatte mir eingetrichtert,  komme was wolle, den Lauf zu beenden. Ich ging eine Zeitlang im Schritt, joggte wieder, mit verzogenem Körper, mit einem Mal war ich alt, aber ich gab nicht auf. Die Nettozeit lag im Ende immer noch einige Sekunden unter drei Stunden. Und ich hatte die 65er Altersklasse gewonnen. But I walked! Was Haruki dazu gesagt hätte? So eine Zeit hat er nie hingelegt.

    An der Spitze mitzulaufen, wenn man den Erfolg einmal gerochen hat, hat seinen Reiz. Haruki hat jeden Marathon beendet und ist nie im Schritt gegangen. Ich habe zwei im Crash aufgegeben und bin verschiedentlich, wenn es sein musste, ein Stück gegangen. Aber einige habe ich gewonnen. Das war es dann wert.