30. Juni 2013
Haruki läuft jedes Jahr einen Marathon, außerdem einige kürzere Strecken. Er konzentriert sich dabei ganz auf sich, die anderen und deren Zeiten kümmern ihn nicht, behauptet er wenigstens. Was zählt ist der Vergleich zu seinen früheren Zeiten. Zeit das ehrliche Maß. Er und die Zeit, die nur für ihn gilt.
Ich nehme nur selten an Rennen teil, einmal wegen des Trainingsaufwands und dann der nervösen Anspannung vor dem Lauf, egal ob Marathon oder ein 10km. Die anderen? Ich will mit vorne dabei sein, besonders in meiner Altersgruppe. Ich spüre den Wettbewerbsdruck, die anderen sind mir nicht gleichgültig. Selbst bei meinem morgendlichen Lauf, wenn ich gedanklich vor mich hinträume, aber dann plötzlich Schritte hinter mir höre, ein schweres Atmen, das näher kommt, dann lege ich zu. Eine fast automatische körperliche Reaktion, obwohl mich meine Kopfsignale zurückhalten, als sei die Verbindung zwischen Kopf und Körper unterbrochen. Ich beschleunige mein Tempo, erst unmerklich, aber wenn die Schritte trotzdem näherkommen, dann echt und mit einem Mal gibt es ein Wettrennen.
Früher konnte ich mir die, die dann noch an mir vorbeizogen, an einer Hand abzählen, es passierte ausgesprochen selten. Und ich freute mich bei der Vorstellung, wie sie hinter mir aufgeben mussten, und ich ihnen den Morgen verdorben hatte. Natürlich, wahrscheinlich war ihnen das ziemlich egal. Aber in letzter Zeit zunehmend, trotz aller Gegenwehr meinerseits, schließen sie auf und ziehen an mir vorbei. Denken sich wahrscheinlich, der spinnt, der Alte. Sie haben ja keine Ahnung, was sie mir antun.
Der Rest des Tages ist nach der Niederlage erst mal versaut. Weil mir eben nichts deutlicher sagt, dass es nicht mehr wie früher ist. Das Altern, an dem man mit aller Fitness nicht vorbeikommt. Haruki nimmt das gelassener, vielleicht einfach erwachsener. Aber ich sträube mich und kämpfe dagegen, in der Illusion, dem Altern davonzulaufen. Und genau da liegt auch mein Hauptproblem mit dem jährlichen Marathon: die Zeit des offiziellen Rennens und ihr unerbittlicher Vergleich zur Vergangenheit, man kann sich winden wie man will.